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Über den Hohen Atlas zu den Affen

11. März 2023
Text: Birgit Funk

Die Landschaft auf der Fahrt von Meski nach Tinghir war insgesamt nichtssagend und trotz des ockerroten Sandes farblos. Die Strasse führt schnurstracks geradeaus – in der Ferne die Bergkette in tiefem Dunst. Die etwa 150 Kilometer ziehen sich für die Sinne, obwohl wir auch einige Orte, wie Erachidia und Goulmima durchfahren und Mittagspause in Tinejdad halten.

In der Gegend von Tinghir ändert sich das schlagartig. Allein schon, dass ein Oued (Wadi/Fluss) Wasser führt, ist ein Ereignis. In der Todra waschen Frauen ihre Kinder und bergeweise Wäsche im klaren Wasser. Wie fast immer schauen wir uns erstmal in den Orten um, so auch in Tinghir. Eigentlich kaum der Rede wert, doch bin ich noch sehr begeistert von meinem jüngsten Einkaufserlebnis. Ich habe zufällig einen Früchteladen entdeckt, der an Sortiment, Auslage und Qualität von Obst und Gemüse alles bisherige in Marokko um Welten übertrifft. Natürlich hat das auch seinen Preis. Anschliessend fahren wir Richtung Todra-Schlucht. Weit mag es auch nicht mehr sein, was die Dichte an Hotels, Restaurants und Souvenir-Händlern erahnen lässt. Und schon haben wir die enge Schlucht erreicht. Dafür müssen wir die Strasse auch nicht verlassen. Die Todra selbst ist nicht besonders breit oder tief. Nach zirka 1 Kilometer weitet sich die Schlucht auch schon wieder deutlich. Hier werden wir die Nacht verbringen. Ein Alphornbläser spielt ein alpenländisches Musikstück, was in dieser Kulisse unglaublich wirkt. In der Abendstimmung macht Jürgen noch Aufnahmen mit der Drohne. Nachts wird die Schlucht illuminiert und der Mond steht annähernd voll am Himmel.

Mal sehen, wie es morgen an der Todra entlang noch weitergeht …

 

In der weiten Schlucht bei gleicher gewaltiger Höhe der Felsen geht es weiter. Am Rand des Oueds stehen Palmen. Ein schönes Fleckchen Erde. Die Strasse määandert sich noch ein ganz schönes Stück eng dem Oued entlang, während er hier kein Wasser mehr führt. Paradox. Selbst oben vor dem Staudamm dümpelt es lediglich ein bisschen. Für die Umsetzung dieses Projekts wurden die dortigen Bewohner nicht zur allgemeinen Freude umgesiedelt.

Die Todra-Schlucht ist das Tor zum Hohen Atlas. Es ist der Umkehrpunkt unserer Reise – unser letztes Ziel im Süden. In einem Monat geht unsere Fähre.

Die offene Schranke zum Pass ist eine Bestätigung dafür, dass die Pässe befahrbar sind. Auf 2000 Meter herrscht noch umtriebige Stimmung in den kleinen Ortschaften, die wir auf der Route Nationale 12 durchfahren. Die Schneeschmelze hat eingesetzt – die Schneegrenze liegt derzeit auf 2400 Meter. Die höher gelegenen Gipfel sind noch schneebedeckt. Wir schrauben uns auf 2645 Meter, bevor es wieder tiefer und wieder auf den nächsten Pass geht. Auf der Strasse geht es von Schotter bis zu 3-spurigem Asphalt unterschiedlich voran.

Auf dieser Strecke gibt es viel zu sehen – Impressionenn wie aus einer anderen Welt: Die Gegend ist landwirtschaftlich geprägt. Auf den Feldern spriesst oder wächst es schon satt grün. Die Strasse führt uns durch teilweise sehr enge Bergdörfer, die sich farblich und architektonisch ins Landschaftsbild integrieren. Hirten führen ihre Schaf- und Ziegenherden zum Weiden. Frauen waschen, wann immer ein Oued Wasser führt. Andere Frauen sind mit riesigen Bündeln Reisig auf ihren Rücken über grosse Distanzen unterwegs, hat man keinen Esel, der das übernimmt. Esel sind im Süden reine Last- und Reittiere. Vor den hier gängigen 2-achsigen Wägen werden ausschliesslich Pferde gespannt, falls man nicht schon auf die Docker, die motorisierten Dreiräder, umgestiegen ist. In der Ebene kurz vor Almaghou sind auf einmal fast alle Bauern auf den Beinen, um ihre noch brachen Felder zu bestellen. Wir sehen 2 Traktoren, mehrere Pferdegespanne und am häufigsten harken die Männer die Ackerscholle mühsam von Hand.

In Imilchil, das auch herrlich in den Bergen mit den weissen Gipfeln im Hintergrund gelegen ist, wollten wir eigentlich nur ein bisschen Brot (hubz) einkaufen. Beim Metzger, der uns das Hackfleisch für Kofta gleich mit Zwiebeln, Petersilie und Gewürzen küchenfertig bereitet, lernen wir jemanden kennen, der uns seine Berberteppiche vorführen möchte. Um die 20 Frauen weben für ihn. Das Restaurant gegenüber haben wir uns anschliessend für unser Mittagessen ausgesucht. Am Grill wird schon fleissig Fleisch gebraten. An der Bestellung jedoch scheitern wir fast. Darauf muss man erst kommen!: Ins Restaurant bringt man hier sein eigenes, noch rohes Grillgut mit, das dann noch, wie bei Kofta mit Tomaten und Zwiebeln veredelt und gegrillt wird. Dazu gibt es Brot und Getränke. Für diesen Service zahlt man. Heute kommt Jürgen mal richtig auf seine Kosten: gleich 1 Kilo Hackfleisch (im Gegensatz zu den sonst üblichen 500 Gramm) haben wir nochmal beim Metzger besorgt, das wir grillen lassen.

Zirka 5 Kilometer ausserhalb von Imilchil liegt der Bergsee Lac de Tislit türkis und landschaftlich schön wieder mit den Bergen im Hintergrund, an dem wir uns am späten Nachmittag an das Ufer stellen. In der Nacht ist der See so glatt, dass sich das Bergpanorama darin spiegelt. Der Tag verspricht, zwar der Höhe angemessen frisch, wieder schön sonnig zu werden und wir bleiben noch hier. Auch übernachten wir noch an dem zirka 10 Kilometer entfernten Lac Isli bei etwa gleicher Kulisse.

Einige Tage später geht es durch weniger gross besiedelte Gegenden zielstrebig über den Hohen Atlas. Die der Landwirtschaft zur Verfügung stehenden Flächen sind nun weitestgehend mit Obstbäumen genutzt, die noch kahl ohne Laub und Blüte stehen. Im weiteren Verlauf sehen wir Kirschbäume, die gerade beginnen zu blühen. In Naour treffen wir auf den quirrligen Berbermarkt, auf den sich alles konzentriert. Gleich am Eingang steht der versammelte Fuhrpark der Besucher, etwa 20 Esel, die hier festgemacht sind. Manche wandern auch mit dem Tier über den Markt. Vertreten sind Lebensmittel, Haushaltswaren, Schuhe, Bekleidung, Näher, und vieles mehr. Bei den Metzgern könnten wir an Fleisch zwischen Rind, Schaf und Hühnchen und Innereien wählen. Welches Fleisch gerade verkauft wird, erkennt man meistens daran, dass bei Ziege und Schaf ganze Tiere mit Kopf aushängen – Rind wird aus einem Teilstück verkauft und manchmal liegen auch die Klauen dabei. Ein Metzger hat zwei Schafsköpfe im Angebot. Eine Delikatesse für manche. Wir lassen uns zerhacktes Hühnchen bereiten. Die lustig gelaunte und resolute Chefin am Grill spricht nur berberisch und ist des Rechnens nicht mächtig, was die Bestellung und Bezahlung einigermassen schwierig gestaltet.

Nach El Ksiba geht es aus den Bergen heraus und in die Ebene auf 1000-800 Meter, die kilometerweit in einem leuchtenden und satten Grün vor uns liegt. Blumenwiesen strahlen in weiss, gelb, orange. Ein Olivenhain grenzt an den anderen. Als 2-Tages-Ziel haben wir uns die Berberaffen, eine Makaken-Art, im Nationalpark bei Khenifra vorgenommen, doch eisern schaffen wir es an einem Tag bis abends. Der Nationalpark ist landschaftlich wunderschön. Sanfte, grüne Wiesen, wie schon zuvor, und dichter Wald. Eine Herde Esel streift über die Weite der Fläche. Kurz bevor wir unser Ziel erreichen und bis hin zur Station haben sich Nomaden angesiedelt. Statt wie in der Wüste mit Zelten, bauen sie hier mit einer Kontruktion aus Holz und Verkleidungen aus Folie ihre Unterkünfte. Ein paar Hühner, mehr Esel als Hütten, Ziegen- und Schafsherden prägen das weitere Bild. Abends wird noch Wasser am Brunnen geholt und Feuerholz gehackt. Uns wurde empfohlen, bis ans Ende des Sees Lac Auguelmam zu fahren für einen schönen Platz inmitten der Berberaffen. Vor dem See stoppt uns eine geschlossene Schranke. Die Besatzung erklärt uns, der Weg wäre dauerhaft gesperrt. Etwas Enttäuschung macht sich breit – doch die Fahrt war es wert! Eine weitere Möglichkeit, Affen zu sehen haben wir aber auch noch zwischen Azrou und Ifrane. Um dorthin zu gelangen, wählen wir die beachtliche Strecke in den Norden des weitläufigen Parks und weiter auf Strasse. Doch, wir sollten noch Glück haben: inmitten dieses Parks kreuzt unvermittelt ein Berberaffe die Strasse. Seine Artgenossen sind in dem angrenzenden Wald gut getarnt. Ein paar Kilometer weiter können wir einen deutlich grösseren Clan neben der Strasse und auf einer Lichtung nah und ungestört beobachten.

Trotzdem interessieren uns noch die Berberaffen zwischen Azrou und Ifrane. In Ifrane sehen wir ein paar vereinzelte Berberaffen in den Strassen tollen. Mehr können wir nicht ausfindig machen. In Ifrane irritiert das Stadtbild. Statt den kubischen Bauten finden sich hier teils mehrstöckige Häuser ungewöhnlich mit Giebeldächern. Auf gut Glück versuchen wir noch verschiedene Strecken durch den Nationalpark Ifrane. Die beiden Nationalparks sind sich sehr ähnlich, hier allerdings befinden sich Zedern im Park, von der angeblich eine der grössten der Welt stehen soll. Von Berberaffen in freier Wildbahn jedoch keine Spur. Zurück auf der Hauptstrasse fragen wir uns mehrfach durch und erhalten irgendwann zweimal identische Wegbeschreibungen. Optimistisch fahren wir daraufhin über Route Nationale 13 tiefer in den Park und treffen tatsächlich auf einen Parkplatz, an dem die Besucher bereits eifrig Berberaffen mit Erdnüssen füttern, fotografieren und die Kinder ganz aufgeregt den Affen nachstellen. Endlich! – Auch wenn es wie ein grosser Zirkus anmutet. Ein Platzwart weist ein, knapp 10 Pferde stehen den Touristen herausgeputzt für Ausritte zur Verfügung und weiter hinten kann man in den fest installierten Hütten Souvenirs erwerben. Für unsere Fotos decken auch wir uns mit Erdnüssen ein. Artig nehmen die Berberaffen, selbst die Kleinsten, die Erdnüsse entgegen. Wir hatten mit mehr Räubertum gerechnet, sieht man von der Ohrfeige, die ich von einem heranwachsenden Affen bekam, einem Biss und einer Attacke auf meine Erdnusstüte mal ab. Um halb 8 lichtet sich der Parkplatz und die Berberaffen verziehen sich in den Wald, bis es früh morgens schon wieder losgeht. Jetzt haben wir die Berberaffen auf dem Dach, die sich spielend von dem nächstgelegenen Baum herüberschwingen …